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Es weihnachtet im DetailTor, Tor, ho ho ho!

Weihnachtspullis, Weihnachtstrikots, allgemeines Adventssingen im Stadion: Der Fußball hat sich dem totalen Kitsch geöffnet. Wenn das Adorno wüsste!

Ho, ho, ho-tschi-minh! Łukasz Kwaśniok in Kölle Foto: dpa

Sicher, so weit gehen wie Der Spiegel muss man nicht, nicht ganz falsch ist die Überschrift „Das Bunteste an dieser Liga sind die Weihnachtspullis“ aber auch nicht. Doch an dieser Stelle soll es nicht um die mindere Spielqualität gehen, die geringe Torausbeute oder den fehlenden Glamfaktor, den Spiele wie Augsburg gegen Bremen oder Mainz gegen St. Pauli eben so nach sich ziehen. Sprechen wir lieber einmal über eine andere Unsitte, die alle Jahre wieder immer weiter um sich greift: die totale Hingabe an den Kitsch, besonders zu Weihnachten.

Der rot-weiße Weihnachtspulli, den der amtierende FC-Trainer sich nicht entblödete, zum Spiel zu tragen – es ging daraufhin auch verdientermaßen gegen die Kölner aus, die in der Kitschtabelle – wir sagen nur Geißbock, Cheerleader, „das Karnevalstrikot“, heimische Gesangsfolklore – eh ganz weit oben stehen. Łukasz Kwaśnioks Pullover zierte über den üblichen Weihnachtszierrat hinaus noch der Schädel des Geißbocks, bekanntlich die größte Kitschkonstante beim Effzeh.

Falsche Geborgenheit, Massenproduktion, Ablenkung – Adorno hätte seinen zynischen Spaß an diesem Kitsch.

Das furchtbare Weihnachtsgesingelsangel, das sie beim 1. FC Union Berlin, dem Gegner von Samstag, schon seit Jahren betreiben, ist mittlerweile in der glühweinbeseelten Breite angekommen: In München wurde genauso wie in Dortmund „dem Christkind ein Ständchen“ gesungen. Vor oder nach dem Spiel. Warum nur? Die Anzahl der Kirchgänger nimmt republikweit seit sehr Langem kontinuierlich ab, den Weihnachtskitsch nehmen reziprok dazu umso mehr mit; vermutlich steckt da wieder irgendeine Identitäts- und/oder Geschäftsidee dahinter. Es fehlt tatsächlich noch das „Weihnachtstrikot“, aber in Bremen hat man das – mit dem Werder-W in einem Tannenbaum – auch schon gesehen.

Falsche Geborgenheit, Massenproduktion, Ablenkung – Theodor Wiesengrund (hallo Werder!) Adorno hätte seinen zynischen Spaß an diesem Kitsch. Er sah in demselben, und ich zitierte mithilfe von KI, eine Form der Kultur, die gefälschte Gefühle präsentiert – eine tröstliche, aber naive und oberflächliche Massenkultur, die ästhetischen Ernst vortäuscht, ohne ihn zu erfüllen und somit die Menschen von echter kritischer Reflexion abhält, indem er „dümmlich tröstend“ wirkt und zur Flucht vor der Realität einlädt.

Hm, ja. Aber dass die Bundesliga den Kapitalismus in Reinkultur spiegelt, ahnte man bereits. Dass die Liga seit Jahrzehnten von einem bestimmten Verein beherrscht wird, hat schließlich auch irgendwas damit zu tun. Oder etwa nicht? Insofern: Frohe Weihnachten!

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